500
Millionen Europäer sind eine Macht – 80 Millionen Deutsche
weltpolitisch unbedeutend. Eine europäische Polizei könnte den
grenzübergreifenden Terror besser bekämpfen als viele hundert dezentral
gesteuerte regionale Einheiten. Europäische Streitkräfte wären
wirkmächtiger als schlecht gerüstete nationale Verbände mit 28
unterschiedlichen Oberbefehlshabern.
Eine demokratisch fundiert
legitimierte europäische Regierung wäre auf internationaler Bühne ein
wichtiger Partner – mehr als europäische Kommissare, die im täglichen
Kleinklein von 28 Regierungschef im Zweifel konterkariert und
ausgebremst werden. Die europäische Idee wird ausgebremst von nationalen
Parlamenten und ihren Regierungen, die im Zweifel lieber Macht
re-nationalisieren, statt beherzt Europa weiterzuentwickeln und
zukunftsfest zu gestalten. Europa wird nicht an zu viel Europa scheiten
sondern an zu wenig. Die Prinzipien der Subsidiarität und der Konnexität
sollten viel stärker gelten.
Die
Forderung nach einer echten europäischen Regierung kann nur basieren
auf einer Stärkung des Europäischen Parlaments (EP) und einer klareren
Zuordnung der Zuständigkeiten. Wir sollten die Anzahl der Gesetze, die
durch nationale Parlamente ratifiziert werden deutlich reduzieren. Eine
gemeinsame europäische Außenpolitik muss sich dem EP gegenüber
verantworten, nicht mehr den nationalen Parlamenten. Ein
Parlamentsvorbehalt für den Einsatz von Streitkräften muss erhalten
bleiben – aber selbstverständlich beim EP liegen. Das gleiche gilt für
die Überwachung zukünftiger europäische Institutionen wie einer
europäischen Polizei, europäischer Grenzschützer oder anderer
Exekutivorgane.
Money
makes the world go around – das gilt auch beim Steuerrecht. Ich
plädiere für die Einführung europäischer Steuern – bei gleichzeitiger
Absenkung lokaler Steuern um mindestens dieselbe Quote. Allen, die jetzt
reflexartig "Nein" zu neuen Steuern rufen, möchte ich sagen, dass die
Prinzipien von Konnexität und letztlich auch Transparenz am besten
dadurch durchgesetzt werden, wenn jede politische Ebene ihre eigenen
Steuern erhebt und diese auch transparent verantworten muss. Die heutige Intransparenz führt nur zu verantwortungslosem Umgang mit unseren
Steuergeldern. Der deutsche Länderfinanzausgleich sollte da warnendes
Beispiel sein.
Weiterentwickeln
müssen sich aber auch die Parteien und das Wahlrecht. One Man, one Vote
ist ein Prinzip, das auch in Europa gelten muss. Dafür muss der Proporz
in den Köpfen deutlich zurückgefahren werden, der kleinen Ländern
überproportional viel Macht einräumt. Wir brauchen Parteien, die sich
europaweit präsentieren, denken und handeln. Man stelle sich vor, in den
52 Staaten der USA würden jeweils Regionalparteien um Stimmen für das
Repräsentantenhaus werben – verrückt, oder? Aber aktuell Wirklichkeit in
Europa. Wo aber bleiben europäischen Parteien? Warum reden auch wir
freie Demokraten mehr von FDP als von ALDE?
Wann schaffen wir endlich eine europäische Nationalstaatlichkeit? Ich würde gerne einen europäischen Personalausweis besitzen und in dem Land wählen dürfen, in dem ich lebe. In meinem. Europa ist es egal, ob jemand ursprünglich aus Paris, Canyamel, Warschau oder Wangerooge stammt. Wir brauchen auch kein nationales Einwanderungsgesetz, lasst uns gleich ein europäisches definieren – auch wenn dies in Anbetracht der deutschen Weigerung, ein solches überhaupt auf den Weg zu bringen erst Recht utopisch erscheint.
Brexit, Grexit, Aussetzen von Schengen, Alleingänge und Re-Nationalisierung sind vielstimmige Antworten auf aktuelle Herausforderungen wie Finanzkrise, Flüchtlingskrise oder Terror.
Viele sehen unser Europa gefährdet aber kaum jemand will die Probleme mit einem mutigen mehr Europa lösen. Wohl, weil es aktuell nicht mehrheitsfähig und schwer durchsetzbar ist. Trotzdem plädiere ich für mehr Europa statt weniger, wünsche ich mir Mut und Vision, statt Verzagtheit und einfacher Lösungen.